Einkehr in das Leben
Ernst Barlach Plastiken - fotografiert von Dirk Purz
& die "Barlach-Tänze" - von
Marianne Vogelsang,
präsentiert vom "tanztheater aus der
zeche" (Bochum)
Einführung zu Ausstellung und Choreographie
16.
Mai 2002 - 20 Uhr - Bleckkirche
Liebe
Gäste,
ich
begrüße Sie herzlich und freue mich, dass Sie unserer Einladung zu
heutigen Veranstaltung in der Bleckkirche gefolgt sind.
Einkehr
in das Leben, unter diesem Titel steht die schon traditionelle Pfingstausstellung
in der Bleckkirche in diesem Jahr, die sich dem bildnerischen Werk eines der
bedeutsamsten deutschen Künstlers des Expressionismus - Ernst Barlach -
widmet.
In
30 Fotographien hat sich mein Pfarramtskollege und Fotograf Dirk Purz - der
schon in seiner Jugendzeit die Fotographie als Medium des Ausdrucks für
sich entdeckte und in einigen Ausstellungen sein professionelle Können
unter Beweis gestellt hat -
dem
Werk Barlachs zu nähern versucht. Eine umfangreiche Arbeit schon deswegen,
weil die verschiedensten Standorte der Skulpturen aufgesucht und auch nicht
wenige Genehmigungen zur Ablichtung dieser eingeholt werden mussten.
So
entstand diese Wanderausstellung, die schon in einigen Städten
Deutschlands zu sehen war, aber hier in Gelsenkirchen, wo sie letztlich
entstand, zum ersten Mal präsentiert wird.
Nun
ist eine Fotoausstellung mit Plastiken von Ernst Barlach natürlich keine
"Ersatzausstellung" für diejenigen, denen die Betrachtung der
Originale nicht möglich ist. Vielmehr dient die Fotografie der visionellen
Wahrnehmung der Arbeiten Barlachs und will die Möglichkeit bieten, zu
einer anderen Perspektive und zur Vertiefung in den Ausschnitt zu gelangen, der
beim Anblick der originalen Bildwerke oft zwangsläufig entfällt.
Und
darum handelt es sich bei Purz Fotografien nicht um reine Ablichtungen, im
Sinne einer Werkedokumentation, sondern um das in der Fotographie klassische
Genre der Porträtkunst, die das Wesen der Figuren einzufangen versucht, in
diesem Falle das Leben der Menschen und ihre Schicksale die Barlach in seinen
Skulpturen darstellt. Beeindruckende Momente, in denen Menschen, denen ihr
Leben im Gesicht geschrieben steht, Einkehr halten, Rast machen, sich hocken
und setzen, frierend kauern, lesen oder träumen. Ihr Tun und Handeln ist
eine unumstrittene Auseinandersetzung mit ihrem Leben und dem Leben selbst.
In
erster Linie ist uns Ernst Barlach - 1870 im holsteinischen Wedel geboren - als
Holzbildhauer bekannt. Damit ist jedoch der Umfang seines Schaffens nicht
erfasst. Barlach war ein vielseitig interessierter und begabter Künstler.
"Er
hat Bühnen- und Bildwerke geschaffen, alle ausgezeichnet durch eine
höhere Schlichtheit; nur der geprüfte, umgetriebene Geist erlangt sie
zuletzt. Erdgebunden war niemand weniger als dieser Künstler, der dennoch
gelernt hatte, die stummen Wesen um ihn her redend zu machen und den
Unbewussten ihre innigste Gestalt zu geben." Mit diesen Worten
würdigt Heinrich Mann Barlachs Gesamtwerk 1938 in dessen Todesjahr.
Seinen
Ruf als einer der führender Plastiker der Kunstrichtung des
Expressionismus begründet sich in der Entdeckung der bäuerlichen
Schnitzkunst. Auf diese stieß er auf einer Reise durch Südrussland
im Jahr 1906. Der landläufige Naturalismus in den künstlerischen
Darstellungen seiner Zeit aber bot ihm letztlich noch nicht die
Gestaltungsmöglichkeit, die er suchte.
Wie
sollte ich - so Barlach - der "das Phänomen Mensch auf quälende
Art von jeher als unheimliches Rätselwesen" vor sich aufsteigen sah, im Menschen "das
Verdammte, gleichsam Verhexte, aber auch das Ur-Wesenhafte" darstellen?
Wie
er sich diese Frage beantwortetet, haben wir heute vor Augen. Und damit war und
ist Barlach ein Grenzgänger. Er war und ist nicht ein Bildhauer unter
anderen unserer Zeit, sondern ein Abseitiger und Einsamer, nicht in erster
Linie Bildhauer sondern Menschenbildner und Typen-Schöpfer. Seine
geschaffenen Formen sind ebenso einmalig wie ihr Inhalt, da sie Abbild einer
eigenartigen und einmaligen Menschlichkeit sind.
In
den Zeiten des nationalsozialistischen Regimes galt die Kunst Ernst Barlachs
als entartet. 381 Plastiken wurden beschlagnahmt, viele wurden zerstört,
seine Ehrenmäler wurden entfernt und seine Stücke von den deutschen
Bühnen abgesetzt. Dennoch konnte Barlach weiterarbeiten. Die Hamburger
Familie Reemtsma ließ in dieser Zeit von ihm den "Fries der
Lauschenden" arbeiten, eine Darstellung von 9 Figuren, die das
größte zusammenhängende Werk Barlachs darstellen.
1938
stirbt Ernst Barlach in Rostock. Einen 2. Weltkrieg muss er nicht mehr erleben.
Seine Werke haben diesen überdauert und sind Zeugen der Schwere und der
Not, die Menschen tragen müssen, wenn sie über das alltägliche
Leben hinaus Kriege aushalten müssen.
Die Eröffnung der heutigen Ausstellung wird begleitet
durch eine Vorführung der Barlach-Tänze, präsentiert von
Mitgliedern des ehemaligen "Tanztheaters aus der Zeche" (Bochum).
Das
international renommierte Ensemble, das im letzten Jahr seine Arbeit aufgrund
mangelnder Finanzierungsmöglichkeiten einzustellen gezwungen war, zeigt
exklusiv für die Bleckkirche diese Produktion aus dem Jahre 2000, die auf
einer Choreographie der bedeutenden deutschen Ausdruckstänzerin Marianne
Vogelsang (1912-1973) basiert.
Das
»tanztheater aus der zeche« entdeckte eine verschollen geglaubte
Filmaufnahme der »Barlach Tänze«. Sie zeigt sechs Tänze
von und mit Marianne Vogelsang und weiteren Tänzern. Die Choreographie ist
von verschiedenen Barlach-Skulpturen inspiriert und wurde 1956/57 für eine
Fernsehaufzeichnung (DDR) geschaffen. Die Musik stammt von dem Komponisten
Peter Fischer, der mit Brecht zusammenarbeitete und heute in Italien lebt.
Für die Einstudierung der Choreographie hat das Tanztheater Bochum den
langjährigen Tänzer und Schüler von Marianne Vogelsang, Manfred
Schnelle aus Dresden, gewinnen können.
Marianne
Vogelsang gehörte neben Rudolf von Laban, Mary Wigman und Gret Palucca zu
den exponierten Ausdruckstänzern Deutschlands. Gleich anderen
Künstlern hatte sie unter der faschistischen Diktatur zu leiden. 1944 wurde
sie zusammen mit ihren Tänzerinnen zu schwerer Zwangsarbeit in eine Mine
verbracht. »Die Lust am Tanzen sollte ihnen vergehen, sie sollten
für ihren Beruf für immer untauglich gemacht werden...«
(Manfred Schnelle). Mit Ende des Krieges wechselte Vogelsang, im Westen als
»Kommunistin« verschrien, nach Rostock. Anfänglich wurde sie
in der DDR gefeiert, doch bald wurde ihre künstlerische Arbeit wieder
blockiert, sie und ihre Tänzer bekamen zunehmend Schwierigkeiten in der
Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit.
Mit
der Rekonstruktion ihrer Tänze möchte das »tanztheater aus der
zeche« gegen das Vergessen einer großen Tänzerin und
Choreographin arbeiten. Mit dieser Produktion setzt das »tanztheater aus
der zeche« seine Absicht fort, Stücke aus dem Repertoire des deutschen
Tanztheaters wieder aufzunehmen, und so die Entwicklung des Modernen Tanzes zu
dokumentieren.
Das
»tanztheater aus der zeche« - ein Zusammenschluss von Tänzern
und Tänzerinnen aus dem ehemaligen Ensemble von Reinhild Hoffmann sowie
Musikern und Schauspielern, die unter der Intendanz von Frank-Patrick Steckel
am Schauspielhaus Bochum gearbeitet haben - ist eine moderne Tanzgruppe, die
sowohl die Pflege des Repertoires deutscher Tanztheater-Tradition zum Ziel hat,
als auch die Suche nach neuen Bewegungs- und Ausdrucksformen fördert. Eine
wichtige Komponente dabei ist die Auseinandersetzung mit dem Ort/Raum, die
Suche nach einer gemeinsamen Spannung, den Raum auszuloten, den Ort als dritten
Akteur zu entdecken. Das Ensemble arbeitet interdisziplinär mit
Künstlern aller Sparten zusammen, um das Verständnis für
traditionelle und moderne Kunst zu fördern, und um einer breiten
Öffentlichkeit außergewöhnliche Aufführungen
zugänglich zu machen, die im kommerziellen Kulturbetrieb nicht zu sehen
sind.
Unter
der Leitung von Stefan Nölle und Remo Rostagno produzierte das Tanztheater
aus Bochum unabhängig weiter und arbeitet hauptsächlich im Ruhrgebiet
und NRW. Die Aufführungen fanden großen Zuspruch beim Publikum. Das
Ensemble nahm an diversen Tanzfestivals in NRW, Berlin, Hannover, Stuttgart und
Nürnberg teil. Gastspiele in Italien und England folgten. Im Rahmen des
Kunstpreises Berlin 1999 ist das »tanztheater aus der zeche« mit
dem Förderpreis im Bereich »Darstellende Kunst« von der
Akademie der Künste ausgezeichnet worden.
Der langjährige
persönliche und freundschaftliche Kontakt zu Stefan Nölle
ermöglicht heute diese exklusive und einmalige Aufführung hier in der
Bleckkirche. Ich bin dankbar und freue mich sehr darüber.
Nun
wünsche ich Ihnen allen einen schönen Abend in der Bleckkirche. Sie
haben noch etwas Gelegenheit, sich umzuschauen und sich mit Getränken zu
versorgen. So ca. halb 9, beginnt der Auftritt des Tanztheaters. Das Stück
selbst dauert in etwa knapp 30 Minuten.
Vielen
Dank für Ihre Aufmerksamkeit.